Autorenlesung
„Überall auf der Welt gibt es Engel!“
Erzählstunde der besonderen Art: Die aus dem Iran stammende Autorin Mehrnousch Zaeri-Esfahani besuchte die Klassenstufe 7 der Realschule Osterburken
Osterburken. (jk) Im Rahmen des Deutschunterrichts kamen die Siebtklässler der Realschule Osterburken in der vergangenen Woche in den Genuss einer Doppelstunde, die so manchem in Erinnerung bleiben wird. Nachdem die beiden 7. Klassen mit ihren Deutschlehrern Janet Sanns und Jochen Kaufmann im Unterricht die Lektüre „33 Bogen und ein Teehaus“ behandelt hatten, sollte nun ein Treffen im Rahmen einer Erzählstunde mit der Autorin Mehrnousch Zaeri-Esfahani folgen. Den Kontakt hatte die Deutschlehrerin Sanns bereits vor Wochen hergestellt und die Finanzierung erfolgte dankenswerterweise durch den „Deutschen Literaturfonds“.
Frau Zaeri-Esfahani wurde 1974 in Isfahan/Iran geboren und verbrachte dort zunächst eine glückliche Kindheit in einer schönen Stadt. Nach dem Sturz des Schahs wurde jedoch plötzlich alles anders, der neue Machthaber errichtete eine Willkürherrschaft. Als ihr älterer Bruder mit 14 Jahren in den Krieg geschickt werden sollte, ließ die gutsituierte Familie alles zurück, was sie besaß und floh über Istanbul und Ostberlin im Jahr 1985 in die Bundesrepublik, wo die Familie nach einigen Zwischenstationen in Heidelberg ihre neue Heimat fand. Zaeri-Esfahani studierte Sozialpädagogik, ist seit 1999 in der Flüchlingsarbeit tätig und war unter anderem Vorsitzende des heutigen Flüchtlingsrats Baden-Württemberg. Für ihre Projekte gewann sie den Demokratiepreis des Deutschen Bundestages. Seit 2017 ist sie als freie Autorin und Referentin tätig.
Krieg und Flucht sind Themen, wie sie tagtäglich auch den jungen Schülern in unserer vielfältigen Medienlandschaft begegnen. Doch einen Erfahrungsbericht aus erster Hand, von Angesicht zu Angesicht erleben zu dürfen, stellte sich schnell als Besonderheit dar.
Von Anfang an wusste Frau Zaeri-Esfahani mit angenehmer Stimme und ihrer freundlichen Art die Aufmerksamkeit der Kinder für sich zu gewinnen. „Ich danke euch für den lieben Empfang und euren Lehrern für die Arbeit im Vorfeld“, so die begrüßenden Worte der Autorin. Gleich zu Beginn erklärte sie den Kindern, dass jeder Mensch in Wahrheit ein Künstler sei, denn jeder sei anders, was eine bereichernde Vielfalt hervorbrächte. „Wenn der Kopf leer ist, kommen Gedanken aus dem Bauch hoch, so entsteht Kreativität!“
Nach diesen ermutigenden Worten nahm eine interessante Erzählstunde ihren Lauf. Vieles von dem, was Zaeri-Esfahani zu erzählen hatte, dürfte für Schüler, welche in der westlichen Welt aufwachsen nur schwer vorstellbar sein. Die Schülerinnen und Schüler erfuhren, dass im Iran der Islam für die Durchsetzung politischer Ziele einer Gruppe missbraucht wurde und aktuell leider immer noch missbraucht wird. Der Tod der jungen Iranerin „Mahsa Amini“ in Polizeigewahrsam und die darauffolgende Protestbewegung lenkte die Augen der Weltöffentlichkeit im vergangenen Jahr auf die für uns unvorstellbaren Zustände einer Willkürherrschaft in diesem Land. Der Vorwurf gegen die junge Frau lautete, sie habe das Kopftuch nicht korrekt getragen. Doch durch die Tatsache, dass diese traurige Begebenheit viral ging, habe nun die dortige Regierung laut Zaeri-Esfahani ein Problem. „Toomaj Salehi“, der iranische Rapper, der offen und musikalisch diese Missstände anprangerte, wurde aufgrund seiner Solidarität mit der derzeitigen Protestbewegung im Iran zu sechs Jahren Haft verurteilt. Nur die weltweite Unterstützung, auch aus Deutschland, bewahrte ihn vor einer Todesstrafe.
Genau diese Angst vor einem verrutschten Kopftuch bescherte Zaeri-Esfahani als Kind die, wie sie es beschreibt, schlimmste Begebenheit ihrer Lebensgeschichte. In der Nacht vor ihrer Einschulung schnitt ihr ihre Mutter die schönen, langen Haare ab – aus Angst! Freude war den Leuten unter der Herrschaft Chomeinis plötzlich verboten, Bestrafungen durch die „Wächter“ (Sittenpolizei) wie beispielsweise Auspeitschungen unter den Augen der Öffentlichkeit wurden traurige Realität. Die Autorin schaffte es während ihres Vortrages somit immer wieder den Bogen zu spannen zwischen den damaligen Verhältnissen im Iran und den derzeitigen, mit der traurigen Erkenntnis, dass sich nichts geändert habe. Noch immer fragen Lehrerinnen und Lehrer in der Schule die Kinder über Familienverhältnisse aus, mit schlimmen Folgen für Familienangehörige. Ein Zustand, der laut der Autorin nun seit 45 Jahren traurige Gewissheit sei. Auch stünden in den iranischen Schulbüchern Dinge, die für Siebtklässler in Deutschland unvorstellbar seien, beispielsweise, warum es toll sei als Viertklässlerin einen älteren Mann zu heiraten. Das ein oder andere Seufzen und ungläubiges Kopfschütteln zeugte in diesem Moment von der Fassungslosigkeit der jungen Zuhörerschaft.
Zaeri-Esfahani berichtete, dass im Alter von 38 Jahren viele Erinnerungen bei ihr wie gelöscht gewesen seien. Sie war glückliche Mutter, war froh in einer Demokratie zu leben und konnte sogar kaum noch persisch sprechen. Doch leider kam ein Punkt in ihrem Leben, an dem sie an nichts mehr Spaß hatte und sie begab sich in eine vier Jahre andauernde Therapie. Die Erinnerungen kamen zurück – zum Glück auch die, an die schönen Sachen. Heute fühle sie sich wie eine Mischung aus Iranerin und Deutscher. Die Revolution im Iran sähe sie als Chance, doch auch sie hätte keine Ahnung, wohin die Reise in den nächsten Jahren gehen würde.
Immer wieder blitzten im Laufe dieser Erzählstunde auch freudige Anekdoten und Begebenheiten auf, die den Kindern vor Augen führten, wie schwierig es sein muss, in einer komplett fremden Kultur Fuß zu fassen. Ein Beispiel hierfür war das Erleben ihres ersten Faschingsumzuges. Lachende Leute, was im Iran ja verboten gewesen sei und Süßigkeiten, die in Hülle und Fülle von den geschmückten Wagen aus geworfen wurden, ließen sie und ihren Bruder damals annehmen, man befände sich im Paradies. Der vorbildliche Bruder ermahnte sie damals nur eine Süßigkeit aufzuheben, man wollte eben einen guten Eindruck bei den deutschen Zuschauern hinterlassen. Eine Begebenheit, die die jungen Zuhörer natürlich zum Lachen brachte.
Mehrnousch Zaeri-Esfahani durfte glücklicherweise auf den verschiedenen Stationen ihres Lebensweges immer wieder auf die Unterstützung toller Menschen zählen.
Selbstverständlich gab es am Ende dieser Erzählstunde noch eine offene Fragerunde, auf die sich die Schülerinnen und Schüler gut vorbereitet hatten.
Eine schöne und zum Nachdenken anregende Antwort erhielten die Siebtklässler auf die abschließende Frage eines Schülers, wo denn die Menschen netter seien? In Deutschland oder im Iran? Mehrnousch Zaeri-Esfahani antwortete darauf: „Es gibt überall Engel und überall gibt es Menschen, auf die das A-Wort passt! Das ist überall gleich!“
Autorin Mehrnousch Zaeri-Esfahani gewann im Handumdrehen die Aufmerksamkeit der Siebtklässer der Realschule Osterburken (Foto: J. Kaufmann):